Guter Rat ist nicht billiger als ein Ferngespräch (1)
„Hallo? ... Hallo!“
„Hallo? Ja?“
„Wer ist da?“
„Wer ist denn da?“
„Sie haben mich doch angerufen. Was wollen Sie? Wer sind Sie?“
„Ich habe angerufen? Nein, ich bin von Ihrer Stimme wach geworden, die aus meinem Telefon drang.“
„Bitte? Mein Telefon hat fünf Minuten lang geklingelt. Sie haben mich angerufen!“
„Oh. Das tut mir leid. Ich muss mit der Stirn auf das Tastenfeld gekommen sein.“
„Wie bitte? Was für ein Tastenfeld?“
„Von der Telefonanlage.“
„Was für eine Telefonanlage?“
„Ja, die Telefonanlage hier an der Hotelrezeption.“
„Was denn für ein Hotel? Wer sind Sie denn? Was wollen Sie von mir?“
„Ich bin die Kati.“
„Und warum schellen Sie mich mitten in der Nacht aus dem Bett? Was soll das?“
„Ich habe Nachtdienst und muss mal wieder eingeschlafen sein. Das tut mit sehr leid. Das passiert mir im Nachtdienst ab und zu.“
„Wie viel Uhr haben wir überhaupt?“
„Moment ...Vier-Uhr-Neunundfünfzig.“
„Meine Güte, ich habe nur eine Viertelstunde geschlafen.“
„Da sind Sie aber spät ins Bett gekommen.“
„Ich bin gerade von der Polizei zurückgekommen.“
„Von der Polizei? Mitten in der Nacht?“
„Ja. Das ist eine andere Geschichte.“
„Hmm...“
„Nur, ich schlafe eh kaum.“
„Warum?“
„Weil seit einem halben Jahr so ein Darm mit Stimmbändern bei uns wohnt. Jetzt gerade konnte ich endlich schlafen. Und jetzt bin ich wieder hellwach. Toll ... Woher haben Sie überhaupt die Nummer?“
„Die Anlage speichert die Daten aller ein- und ausgehenden Anrufe. Ich bin wohl auf die Rückruftaste gekommen, und sie hat mit mich mit dem letzten Anrufer verbunden. Moment ... Bist du das? Olli? 0049 – das ist doch eine deutsche Nummer ...“
„Nein, hier spricht Arthur Schreiber. Und, ja, ich bin in Deutschland ... Hat der Idiot vorhin auch noch ins Ausland telefoniert?“
„Ja. So ein nettes Telefonat war das. Sympathisch. Er war auf der Suche nach einem Schnuller und wollte eigentlich bei der Auskunft anrufen. Aber er sagte, er würde nicht mit der Wählscheibe des Telefons klarkommen. Und so ist er zufällig hier bei mir in Österreich gelandet, an der Rezeption. Hat er denn gefunden, was er gesucht hat?“
„Allerdings.“
„Was man nicht alles für die Kleinen tut, nicht?“
„Wie meinen Sie das?“
„Der Olli wollte Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um einen Schnuller für seinen kleinen Neffen zu besorgen.“
„Ja, das hat er im Prinzip auch getan.“
„Ach, schön. Hat er meinen alten Babysitter-Trick anwenden können?“
„Haben etwa Sie ihn auf diese behämmerte Idee gebracht?“
„Ja... Warum behämmert?“
„Weil ich deswegen bei der Polizei war!“
„Bei der Polizei? Deswegen kommt doch nicht die Polizei.“
„Die Polizei war schon vor Ort.“
„Und wegen so einem Kavaliersdelikt wurde Olli direkt mitgenommen? Das ist doch übertrieben!“
„Entschuldigung. Aber mein Cousin, der Olli, ist mitten in der Nacht mit einem Wohnmobil, das ihm nicht gehört, meinem Wohnmobil, verbotenerweise in ein Naherholungsgebiet gefahren, dort auf einem Waldweg stehengeblieben, über eine auf dem Wohnmobildach aufgestellte Leiter in einen Baum geklettert, dabei von der Polizei erwischt und schließlich von der Feuerwehr mit Hilfe eines Leiterwagens gerettet worden, weil die Leiter vom Dach des Wohnmobils heruntergefallen war, wobei ihm beim Einsteigen in den Rettungskorb der Drehleiter noch eine Schere, also ein scharfer, spitzer Gegenstand, potenziell eine Waffe, aus der Tasche gefallen ist und fast den Feuerwehrmann verletzt hat.“
„Oh.. Bei uns ist der Schnullerbaum ganz klein. Und man kommt ohne Leiter an die Schnuller heran Da ist was schief gelaufen.“
„Aber hallo! Ich war gerade auf der Polizeiwache, um Olli abzuholen. Aber als ich verstanden hatte, was er da vorgehabt hat, habe ich ihn dort gelassen.“
„Aber es ist doch rührend, dass er die ganzen Strapazen auf sich genommen hat, um irgendwo doch noch einen Schnuller her zu bekommen, nicht wahr?“
„Wenn ich nur daran denke, bekomme ich Herpes. Ehrlich! Haben Sie schon mal was von Hygiene gehört? Bahh’ ...“
„Das mit einem gebrauchten Schnuller seh’ ich jetzt nicht so dramatisch wie Sie. Hier bei uns sagt man ‚Dreck fressen ist wichtig für`s Immunsystem’. Wenn man den richtig abkocht, dann kanns ja nichts haben.“
„Ja, das sagt man bei uns auch. Aber Gegenstände, an denen fremde Kinder genuckelt haben, kommen meinem Sohn nicht in den Mund! Und hat Ihnen Olli auch erzählt, wie er unsere neuen Schnuller abgekocht hat? Wir hatten nämlich welche...“
„Nein.“
„Er hat unsere Küche in ein Dampfbad verwandelt und dabei beide Reserveschnuller eingeschmolzen. Deswegen war er auch auf der Suche nach Ersatz – mitten in der Nacht.“
„Oh. Das ist dämlich.“
„Noch dämlicher ist, dass wir direkt neben einer Tankstelle wohnen, bei der man um zwei Uhr nachts nicht nur Schnuller, sondern sogar Katzenstreu kaufen kann. Der Olli reißt dauernd solche Schoten und meint, immer alles unter Kontrolle zu haben. Kurz nach der Geburt meines Sohnes war er bei uns zu Besuch und hat nachts in unserer Küche Knäckebrot getoastet. Da hatte ich auch schon die Feuerwehr da. Jetzt hat er sich schon irgendwo einen guten Rat suchen wollen, und da bringen Sie ihn auf so eine bekloppte Idee?“
„Das kann ich ja nicht wissen, dass da eine Tankstelle bei Ihnen ist. Wir sind hier sehr ländlich. Meine Oma hätte zu dieser Geschichte gesagt: ‚Warum einfach, wenn es auch umständlich geht.’ Hihi ...“
...
„Hallo? Sind Sie noch da?“
„Ich glaube, ich träume. Ich lege jetzt auf. Falsch verbunden. Tschüss!“
4.1.20, V2.0(b)