Kausalitäten
„Herr Meier, wir müssen Ihnen eine dreimonatige Sperre aussprechen. Das ist bei einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber so. Sie sind selbst Schuld an Ihrer Misere. Ich habe hier das Kündigungsschreiben der ‚Meine Matratzenwelt GmbH‘ vorliegen“, bemerkte der Arbeitsvermittler und rollte mit seinem Bürostuhl zur Seite. Er verschwand hinter dem großen Bildschirm, auf dessen Rückseite das große Logo der Arbeitsagentur mit dem stilisierten „A“ prangte.
„Herr Meier, ich drucke Ihnen den amtlichen Bescheid jetzt direkt aus, dann können sie ihn gleich mitnehmen und wir können uns die Post sparen. Sie haben natürlich die Möglichkeit, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Das ist am Ende auf der letzten Seite erläutert. Wir sehen uns dann in drei Monaten wieder, sofern Sie nicht eine neue Arbeit gefunden haben.“
„Das ist dann wohl die nächste ‚A-Karte‘ für mich. Wollen Sie überhaupt nicht wissen, was passiert ist?“, fragte Herr Meier. „Ich will eine Kündigungsschutzklage einreichen und mich gegen die Kündigung wehren. Das war alles eine Verkettung unglücklicher Umstände, nicht mehr! Mein ehemaliger Chef ist ein Choleriker. Er hat eine ziemlich große Sache daraus gemacht.“
„Und wie begründen Sie die Klage?“, fragte der Arbeitsvermittler.
„Manchmal trifft man im Leben eine falsche Entscheidung. Manchmal auch mehrere“, begann Herr Meier zu erzählen.
„Ach ja?“, unterbrach der Arbeitsvermittler. „Welche falsche Entscheidung haben Sie denn getroffen?“
„Ich habe das Firmenauto auf der falschen Straßenseite geparkt“, erklärte Herr Meier.
„Also im Halteverbot?“, fragte der Arbeitsvermittler.
„Nein. Da waren ausgewiesene Parkplätze auf dem Bürgersteig. Aber ich habe nicht die Fußgängerampel ein paar Meter weiter benutzt, sondern bin direkt über die Straße gegangen“, erklärte Herr Meier.
„Und dabei sind Sie von der Polizei erwischt worden“, ergänzte der Arbeitsvermittler.
„Nein. Ich habe einfach die Straße überquert und bin über die Bordsteinkante gestolpert“, erklärte Herr Meier.
„Und sind dann gestürzt?“, fragte der Arbeitsvermittler.
„Nein. Ich trug eine schwere Kiste mit einer Nähmaschine, die ich abgeholt hatte. Ich kam ins Wanken, beugte mich schnell nach vorne und stütze mich auf der Kiste ab, die dabei auf den Bürgersteig prallte“, erklärte Herr Meier.
„Und die Nähmaschine wurde dabei beschädigt“, ergänzte der Arbeitsvermittler.
„Nein. Nur die Kiste trug Schäden davon. Die Nähmaschine war darin aber so gut verpackt, dass sie unversehrt blieb“, erklärte Herr Meier.
„Und wegen der beschädigten Kiste wurde Ihnen fristlos gekündigt?“, fragte der Arbeitsvermittler.
„Nein. Die Kiste war nicht sehr hoch und ich beugte mich recht weit herunter, um mich auf ihr abzustützen. Dabei riss mein Hosengürtel mit einem ziemlichen Knall. Der Knall wiederum machte ungefähr dreißig Menschen an einer schräg gegenüberliegenden Bushaltestelle auf meine missliche Lage aufmerksam.
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27.3.20
Diese Geschichte hat beim Schreibwettbewerb des Mitmach-Projektes beim Schreiblust-Verlag im Januar 2020 den 1. Platz belegt.