Leberwurst
Szene beim Abendbrot mit drei Kindern.
Das Kindergartenkind holt sich gerade eine Strickjacke zum Überziehen, da ihr kalt ist.
Das Kleinkind wuselt auf dem Kinderstuhl herum. Vor ihr zerkaute, ausgespuckte Salami und zerkautes, ausgespucktes Brot neben einer leeren Milchbreischüssel. Ein Breirest wird mit beiden Händen in die Tischoberfläche eingerieben. Hecktisch versuche ich, sie in Zaum zu halten. Gleichzeitig rufe ich nach dem Kindergartenkind, das mal wieder im Kleiderschrank verschollen ist, während ich Leberwurst auf ein Brot für die Erstklässlerin schmiere.
Da fragt diese: „Papa, aus welchem Tier wird eigentlich die Leberwurst gemacht?“
„Eigentlich aus Schwein. Die hier ist Kalbsleberwurst, da ist auch Fleisch vom Kalb drin. Weißt Du eigentlich, was das Kalb für ein Tier ist?“, sage ich.
„Ja, ein Baby!“
Das Kindergartenkind ist zurück und lauscht interessiert der Unterhaltung. „Ein Baby? Hehehehehe..!“ Diese dreckige Lache einer Viereinhalbjährigen ist ansteckend.
„Ja, von einer Kuh“, erwidert die Erstklässlerin.
Nachdem das halbe Leberwurstbrot aufgegessen ist, wendet sich mir die Erstklässlerin wieder zu. „Papa, wo sitzt eigentlich die Leber?“ Sie zeigt fragend auf eine Stelle an ihrem Kopf.
Ich deute auf den Speck rechts an meinem Männerbauch. „Ich glaube hier unten irgendwo.“
„Achso.“
Irgendwann ist das Abendessen in den letzten Zügen.
„Papa, muss das Kalb tot sein, wenn man die Leber herausschneidet?“
„Würdest Du bei einem lebenden Kalb einfach die Leber herausschneiden?“
„Hmm... Nee...“
Während ich einige Minuten später die ersten Sachen in den Kühlschrank einräume, legt die Erstklässlerin wieder los: „Papa, wie tötet man eigentlich Fische?“
Man haut ihnen mit einem Knüppel auf den Kopf, um sie zu betäuben. Und dann sticht man mit einem Messer in ihr Herz.“
„Aha...Hmm... Und wie tötet man Kälber?“
„Man betäubt sie auch erst und dann schießt man ihnen einen Bolzen in den Kopf, glaube ich.“
Tatsächlich wird das vielleicht sogar ohne Betäubung gemacht, fällt mir hinterher ein. Aber egal. Damit muss ich meine siebenjährige Tochter nicht noch zusätzlich schocken.
„Das ist aber irgendwie doof, dass so viele Tiere sterben müssen. Aber wenn wir sie nicht töten würden, dann würden es immer mehr Tiere werden. Und irgendwann müssten wir uns gegen sie verteidigen.“
„Ne, Schatz, eigentlich ist das so, dass die ganzen Tiere nur leben, weil wir sie züchten, damit wir das Fleisch essen können. In der freien Natur würden es bestimmt nicht so viele Tiere sein. Die würden alleine gar nicht ausreichend Futter finden. Wir produzieren ja industriell ganz viel Futter. Auf Äckern wächst zum Beispiel Mais, der zu Viehfutter verarbeitet wird. Und die Tiere hätten bestimmt auch nicht genug Platz. Wir sperren sie ja in enge Ställe und auf Weiden ein.“
„Wir könnten einfach aufhören, Fleisch zu essen, aber das geht nicht. Dazu esse ich viel zu gerne Speck und Hackfleisch!“
„Naja, wir könnten einfach weniger Fleisch essen, dann müssen nicht ganz so viele Tiere sterben.“
„Ja, das ist eine gute Idee!“
„Stimmt! Aber meistens, wenn ich etwas ohne Fleisch koche, dann esst ihr es nicht.“
Die Lebensmittel sind wieder im Kühlschrank und ich räume nach und nach das Geschirr und Besteck vom Tisch ab. Wir stehen jetzt in der Küche.
„Papa, weißt Du wie die Menschen heißen, die kein Fleisch essen? Ich weiß es! – Vegetarier.“
„Ja, stimmt. Und dann gibt es noch die Veganer. Die essen überhaupt keine tierischen Produkte. Zum Beispiel essen sie keine Eier.“
„Aber Vegetarier essen doch auch keine Eier!“
„Doch, die essen Eier. Die bestehen ja nicht aus Fleisch, und für ein Ei muss die Henne nicht sterben.“
„Oh, ja, stimmt. Da ist ja kein Küken im Ei.“ Kurze Stille. „Aber warum ist da kein Küken im Ei?“
„Die Henne legt einfach ein Ei nach dem anderen. Der Hahn muss ja etwas dazugeben, damit ein Küken herauskommt.“
„Hääähh…?“
„Naja, der Hahn muss seinen Samen dazugeben, damit ein Küken entsteht. Das Küken ist ja das Kind von der Henne und dem Hahn. Du bist ja auch das Kind von Mama und mir.“
Wieder eine kurze Pause. Die Spülmaschine wird nach und nach gefüllt.
„Papa, wie gibt der Hahn der Henne das Korn?“
„Das Korn?“, denke ich. Ach ja, Getreidekorn, der Samen.
„Ach den Samen meinst Du? Ehh… Das ist kein Korn. Das ist eher eine Zelle.“
„Eine Zelle???“
„Naja, das ist eher so eine Flüssigkeit, in der die Zelle schwimmt.“
„Und wie gibt der Hahn der Henne dann die Zelle? Und wie hast Du der Mama den Samen gegeben?“ – Sie überlegt kurz. „Ach ja, wenn Du die Mama küsst…“
„Ehhh… Ja so ähnlich.“
„Ja, wenn der Hahn auf die Henne draufspringt. Das hab ich schonmal gesehen. Im Kinderfernsehen.“
„Ja, genau. Und jetzt husch, husch. Ab ins Badezimmer mit Euch. Zähneputzen. Mama kommt gleich von der Arbeit nach Hause.“
Kurz bevor Erstklässlerin darauf gekommen ist, dass ich auch ihre Mutter besteigen musste, um ihr meinen Samen zu geben, schaffe ich es, ihr Mundwerk mit der Zahnbürste für ungefähr zwei Minuten lahmzulegen. Puhh… Gott sei dank. Denn die beiden kleineren Damen hörten mit.
Nun bin ich gespannt, wann ich diese Unterhaltung mit meiner Erstklässlerin fortsetzen darf.
Und ich bin froh, dass wir Wurst und Fleisch essen. Denn wie klären denn wohl Vegetarier und Veganer ohne Kalbsleberwurst auf dem Abendbrottisch ihre Kinder auf?
1.9.20