Verkneif dir das besser!
Welche Telefonnummern kennen Sie auswendig? Feuerwehr, Polizei, die Nummer Ihrer Eltern? Ok. Ein paar könnten es sein. Aber kennen Sie die Nummer Ihrer Frau oder Ihrer Freundin? Eigentlich sollte man einige wichtige Rufnummern im Gedächtnis haben, falls man mal in eine Notsituation kommt.
Ich weiß die Nummern meiner Mutter sowie die von Thomas und Frank auswendig. Die hatte ich schon im Gedächtnis, bevor ich mir vor Jahren mein erstes Mobiltelefon zugelegt habe. Ab da ging es telefonnummerngedächtnistechnisch allerdings bergab.
Sie meinen vielleicht, dass man für den Notfall auch einen Zettel oder ein kleines Büchlein mit sich führen könnte. Richtig. Wenn ich gerade auch nur irgendein Papier- oder Zellfaserprodukt in Reichweite hätte, dann wäre mein aktuelles, akutes Problem schnell aus der Welt geschafft. „Wisch und weg“, sozusagen. Aber nichts dergleichen ist in greifbarer Nähe. Und auch die drei Telefonnummern, die ich mir aus meinen letzten Hirnwindungen drücken konnte, haben nicht weitergeholfen.
Ich kontaktierte Frank. Frank nahm meinen Anruf zunächst, wie immer, freundlich und aufgeschlossen entgegen. Als ich ihm dann aber erklärte, in welcher Art Notlage ich stecke, roch er förmlich eine Gelegenheit, sich für meinen Aprilscherz aus dem Jahr Zweitausendeins zu revanchieren.
Damals platzierte ich mehrere Aushänge mit seiner Handynummer in Bau- und Supermärkten, auf denen kostenlose Klappstühle, Muttererde und Katzenstreusäcke angepriesen wurden.
Am Tag nachdem ich die Aushänge gemacht hatte, war Frank bereits nur noch unter seiner neuen Nummer zu erreichen. Wahrscheinlich habe ich sie mir deshalb so genau eingeprägt. Zum Schluss unseres Telefonates lachte mich Frank aus und meinte: „Hättest du dir den Scheiß vor zwanzig Jahren mal verkniffen…“
Dann war Thomas dran. Aber nur kurz. Er hat auch nach zehn Jahren nicht verwunden, dass ich ihm meine heutige Frau ausgespannt habe. Damals wollte er nie wieder ein Wort mit mir sprechen. Ich rief ihn unzählige Male an. Vielleicht habe ich seine Nummer deswegen noch präsent. Na ja.
„Das hättest du dir damals wirklich verkneifen sollen!“, schimpfte meine Mutter anschließend. „Dann wärst du jetzt bestimmt nicht in der Verlegenheit, mich anzurufen. Ich habe dir immer geholfen, mein Junge. Aber diesmal musst du alleine klarkommen.“ Nach diesen Worten beendete sie die Verbindung.
Das Handy halte ich immer noch in der Hand und starre auf das pixelige Graustufendisplay. Es ist das alte Seniorenhandy meines Vaters. Ein Erbstück.
Ich habe eine Affäre. Und dieses Telefon nehme ich immer zu meinen Rendezvous mit. Die Nummer meiner Freundin ist die einzige im Speicher. So rufe ich nicht versehentlich die Falsche an. Mein Smartphone „vergesse“ ich dann stets, damit mir meine Frau nicht hinterhertelefoniert. Beim „Tischtennis“ kann ich eh nicht rangehen.
Ja, warum ich denn nun nicht meine Freundin anrufe? Das habe ich. Nur ist sie sauer auf mich, weil ich vorhin einen anderen Gast fragte, ob es ihn beim Rauchen störte, wenn ich weiteräße. Sie fand, ich hätte sie blamiert. Schließlich sei es der erste gemeinsame Besuch bei ihrem Lieblingsitaliener. Und der entwickelt sich seither zu einer Nummer, aus der ich nicht allein herauskomme. Eigentlich fehlt nur die richtige Nummer, um diese Kabine zu verlassen.
Also, meine Freundin habe ich sogar zuerst angerufen und sie gebeten, mir eine Rolle Klopapier auf die Herrentoilette zu bringen. Stattdessen ging sie wohl direkt nach Hause. Wir waren die letzten Gäste. Da wird nun auch keiner mehr zum Klo gehen.
Vielleicht muss man sich im Leben die ein oder anderen Bemerkung, den ein oder anderen Scherz, die ein oder andere Handlung, vielleicht den ein oder anderen Toilettengang verkneifen.
12.7.21